Verkäufer brauchen mehr Geduld

Mit der Zinswende hat ein neues Kapitel für den Immobilienmarkt begonnen. 
Häuser bleiben länger auf dem Markt, die Zeiten der Rekordpreise sind vorbei

Das Einfamilienhaus erfüllt alle Erwartungen: innen mit viel Liebe und Sorgfalt ausgebaut, ein ruhiger Ort mit eigenem Garten. Es steht im Kanton Aargau, rund 50 Kilometer von Zürich entfernt. Familie M. muss sich aus beruflichen Gründen davon trennen. So kommt der grosse Tag, an dem das teure Familienstück zum Verkauf ausgeschrieben wird. Ein Preis von 2,2 Mio. Fr. ist gefordert, untermauert durch aktuelle Verkehrswertschätzungen. Familie M. wartet auf eine Flut von Anfragen. Die Tage vergehen, doch es meldet sich kein einziger Interessent. Das attraktive Familienhaus scheint für den Rest der Welt unsichtbar zu sein. Erst als die Immobilie ein zweites Mal für 1,8 Millionen Fr. ausgeschrieben wird, kommt Bewegung in die Sache. Schliesslich wird der Deal zu diesem Preis besiegelt – 400000 Fr. weniger als erwartet.

Preise vom Hörensagen

Laut Adrian Wenger, Finanzierungsexperte beim VZ Vermögenszentrum, handelt es sich nicht um einen Einzelfall: «Manche Verkäufer haben immer noch die Preise aus dem Jahr 2021 im Kopf.» Oder sie schenken den Gerüchten im Quartier Glauben, wonach ein Nachbar einen absoluten Spitzenpreis erzielt habe. «Es ist offensichtlich, dass sich die Welt verändert hat», sagt Wenger. Er geht generell von längeren Vermarktungszeiten für Immobilien aus. Während ein Verkauf bisher meist innerhalb von sechs Monaten abgewickelt wurde, müsse man jetzt eher «mit acht oder neun Monaten rechnen».

Vorbei sind die Bieterrunden, als zuweilen zig Interessenten die Preise hochschaukelten. Die neusten Zahlen der Online Home Market Analysis (OHMA) zeigen, dass im zweiten Quartal dieses Jahres Einfamilienhäuser praktisch durchweg länger als im Vorjahr ausgeschrieben waren, bis sie einen Käufer fanden. Längere Vermarktungszeiten sind vor allem in der Innerschweiz, in der Ostschweiz, aber auch im Grossraum Zürich und in der Nordwestschweiz zu beobachten.

In der Nordwestschweiz sind Einfamilienhäuser im Schnitt 56 Tage online ausgeschrieben – eine deutliche Zunahme gegenüber 2022, als diese Frist nur 37 Tage betrug. Im Wallis und im Kanton Tessin brauchen Verkäufer einen besonders langen Atem – hier müssen Verkäufer oft monatelang auf Kaufinteressenten warten. 

Wer jetzt Immobilien verkaufen will, muss sich auf die neue Realität einstellen. Gleich mehrere Faktoren führen dazu, dass die Preise kritisch hinterfragt werden. Viele Interessenten kommen gleich mit einem Architekten zur Besichtigung und ziehen den geschätzten Renovationsaufwand vom Kaufpreis ab. Kommt dazu, dass die Banken Kreditgesuche und die finanzielle Tragbarkeit doppelt und dreifach checken. Wenn drei Monate nach der Ausschreibung kein konkretes Kaufangebot vorliegt, müssen die Verkäufer über die Bücher gehen. Dann gilt es, den Preis zu korrigieren und das Objekt neu auszuschreiben. Neuerdings fällt auf, dass immer wieder die gleichen Objekte neu ausgeschrieben werden. Zahlen aus den Online-Ausschreibungen zeigen, dass in etwa 5 bis 8% der Fälle die Preise nach unten korrigiert werden müssen – was zu Zeiten des Immobilienbooms völlig undenkbar gewesen wäre. 

Manche Verkäufer glauben aber immer noch, dass wir in der Welt der Negativzinsen leben. Das andere Extrem sind potenzielle Käufer, die nur darauf warten, dass die «Preise ins Bodenlose fallen». Die Frage ist einfach, wo genau sich das neue Gleichgewicht einpendeln wird. Behauptungen, wonach für gewisse Objekte und in gewissen Märkten immer noch die gleichen Preise wie vor zwei oder drei Jahren bezahlt würden sind zu hinterfragen. Denn schliesslich haben sich zwei Dinge grundlegend verändert: Wegen der höheren Zinsen fällt ein Segment von Wohnungskäufern praktisch weg. Buy-tolet-Investitionen, also der Kauf einer Stockwerkeinheit als reine Kapitalanlage, rechnen sich nicht mehr. Zwei weitere Faktoren, die den Markt stark angetrieben haben, fallen ebenfalls weg: «Kaufen ist nicht mehr günstiger als mieten». 20 Jahre lang haben Eigentümer konstante Wertsteigerungen erlebt. Aber jetzt gibt es keine Gewissheit mehr, dass Immobilien sicher an Wert gewinnen. Die neue Realität spiegelt sich in der stark rückläufigen Zahl von Verkäufen. Zuverlässige Anhaltspunkte dafür liefern die Zahlen der grossen Hypothekarbanken wie CS, UBS und ZKB. Nehmen wir das Beispiel Eigentumswohnungen: Auf dem Höhepunkt des Booms im vierten Quartal 2020 wurden rund 3000 Stockwerkeinheiten finanziert. Dieses Volumen ist jetzt auf die Hälfte eingebrochen. Für Peter Ilg, den Leiter des Swiss Real Estate Instituts, kommt dieser Trend nicht überraschend: «Hauptursache war der sehr deutliche Zinsanstieg in kurzer Zeit.» Ilg spricht sogar von einem eigentlichen Zinsschock: «Insofern ist es eher überraschend, dass der Immobilienmarkt nicht mehr in Bewegung kam.» Von den Zinsen abgesehen spielt das grössere Angebot eine Rolle. Im Zug des Generationenwechsels kommen mehr Eigenheime auf den Markt als früher. Wer sich schon länger mit dem Gedanken eines Verkaufs getragen hat, wird die Sache jetzt angehen wollen – solange die Preise stabil sind. Mit der Zinswende hat ein neues Kapitel für den Immobilienmarkt begonnen. Häuser bleiben länger auf dem Markt, die Zeiten der Rekordpreise sind vorbei. Nach den Zahlen von Peter Ilg ist vor allem das teurere Preissegment derzeit erstaunlich robust. Anders präsentiert sich die Lage bei den günstigen Häusern. «Im Segment zwischen 500000 und 1 Mio. Fr. ist die Nachfrage rückläufig, und Kaufobjekte müssen länger ausgeschrieben werden», so Peter Ilg. Eine Erklärung dafür ist darin zu suchen, dass diese Käufergruppe sensibler auf die gestiegenen Zinsen und die hohen Anforderungen bei der Kreditprüfung reagiert. Im Gegensatz dazu bleibt die Nachfrage vermögender Käufergruppen stabil. Wenn ein grösseres Familienerbe oder nicht rückzahlbare Darlehen von Eltern zur Verfügung stehen, bleiben Kaufabsichten krisenresistent. Ilg ist optimistisch, dass die Preise insgesamt stabil bleiben. Die Nachfrage nach Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen an guten Lagen in den Städten sei nach wie vor hoch. Bei Eigentumswohnungen auf dem Land sieht der Immobilienexperte die Aussichten etwas anders: «Hier könnten die Preise kurz- und mittelfristig etwas sinken.» Peter Ilg ist überzeugt, dass Einfamilienhäuser langfristig eine attraktivere Investition darstellen als Eigentumswohnungen, insbesondere aufgrund des höheren Anteils an Bauland. «Einfamilienhäuser werden auch aufgrund ihrer Knappheit in der Schweiz weiter eine gesuchte Wohnform sein.